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29. Februar 2024

Who cares?! – Warum wir über Care-Arbeit sprechen müssen

Terminplanung, Erziehung, Hausarbeit, Ehrenamt, Pflege und Fürsorge. Die Liste ist lang – Lang, mit Aufgaben, die für viele nach einem normalen Alltag klingen. Doch das alles ist nur ein kleiner Teil von dem, was tagtäglich, oft unsichtbar und selbstverständlich an Arbeit geleistet wird – die Carearbeit. Aber was ist überhaupt Carearbeit?Carearbeit ist die Tätigkeit des Sorgens und des Sich-Kümmerns. Dabei wird zwischen bezahlter, also der institutionellen Carearbeit und der unbezahlten Carearbeit unterschieden. Unter Carearbeit fällt also alles das, was zum Erhalt des Lebens und der Lebensqualität beiträgt.  

Das bisschen Haushalt macht sich von allein?Frauen* wenden täglich im Durchschnitt 52,4% mehr der gesamten unbezahlte Carearbeit auf als Männer*. Dieser Unterschied wird als Gender Care Gap bezeichnet. Es zeigt, dass Frauen* deutlich mehr Zeit mit Fürsorge und Versorgung verbringen als Männer* – umgerechnet 87 Minuten Unterschied pro Tag. Die Konsequenzen davon sind groß: mentale Überlastung, weniger freie Zeit, mehr Stress. Auch wirtschaftlich hat das große Nachteile: Die Lücke in der Rente zwischen Männer* und Frauen* beträgt derzeit rund 60%. Der Gender Pay Gap, also der Unterschied der Stundenlöhne zwischen Männer* und Frauen*, liegt in Deutschland bei 18% (Stand: 2022). Noch immer kämpfen wir für den Equal-Pay-Grundsatz, gleicher Lohn für gleiche Arbeit – unabhängig von der Geschlechtsidentität. Aber warum ist das so? Ein wesentlicher Grund stellt die ungerechte Verteilung der unbezahlten Carearbeit dar. Frauen* gehen häufig länger in Elternzeit und haben einen erschwerten Wiedereinstieg in das Berufsleben. Über die Hälfte aller Minijobs werden von Frauen* ausgeübt. Dadurch ergibt sich ein geringeres Lohneinkommen und somit eine niedrigere eigenständige Altersversorgung. Zudem haben Frauen* noch immer schlechtere Karrierechancen. Männern* werden öfters eine Führungsposition angeboten und sie bekommen schneller eine Beförderung. Diskriminierung am Arbeitsplatz findet leider auch heute noch zunehmend statt. 

Working 9 to 5 – und noch darüber hinaus Carearbeit ist ein 24 Stunden Job. Jeden Tag. Die Belastung der Organisation und Strukturierung dieser Arbeit bleibt nicht ohne weitere Folgen. Neben wirtschaftlichen Konsequenzen wirkt sich die Last der Verantwortung auch auf die mentale Gesundheit aus. Mental Load bezeichnet die Last der alltäglichen Verantwortung für das Sorgen und das Sich-Kümmern. Es ist dabei zu unterscheiden, ob eine Person im Haushalt Hilfe anbietet oder die gesamte Verantwortung dafür tragen muss. Mentale Gesundheit wird in der Gesellschaft noch immer nett belächelt und oft als Schwäche abgetan. “Stress muss man aushalten können” ist oft ein klassischer Satz, den Betroffene hören. Aber was ist mit dem unsichtbaren Stress, der Mental Load eben? Hier einmal zur bildlichen Vorstellung: Betrachten wir mal das Modell Familie als einen Eisberg. Sichtbar ist die Spitze, also alle sichtbaren Aufgaben und Tätigkeiten, die zum Familienleben beitragen: Haushalt, Betreuung, Versorgung. Unter der Spitze verbirgt sich aber der restliche, große Teil des Eisbergs: die unsichtbaren Aufgaben. Dazu zählen zum Beispiel Bedürfnisse, Optionen abwägen und Entscheidungen treffen. Ein Vorgang, der ständig im Kopf ist, angepasst und abgearbeitet werden muss. Schuld für diese Zustände ist das geprägte Rollenbild der klassischen (Haus-)Frau. Wird die Last der Verantwortung nicht gerecht verteilt, so kann eine Überlastung entstehen, die wiederum eine psychische Erkrankung begünstigen kann. Rund jede dritte Person erkrankt im Laufe des Lebens an einer psychisch Erkrankung, die behandelt werden muss (Statistik: Bundesgesundheitsministerium). Die Nachfrage an Therapieplätzen ist hoch. Noch immer fehlt es an einer Reform der Bedarfsplanung und Beratungsangebote für Betroffene. Mangelnde Wertschätzung führt zu einer Stärkung des Problems. Wer lobt schon eine Arbeit, die man nicht sehen kann? Um der Mental Load Falle zu entkommen bzw. sie zu verringern, ist es wichtig, dass eine offene Kommunikationskultur in der Familie möglich ist. Es muss ersichtlich sein, welche Aufgaben zu erledigen sind, die dann gerecht verteilt werden. Wertschätzung und Anerkennung sind dabei von großer Bedeutung. Eine Retrospektive hilft, Feedback zu geben und Dinge neu zu koordinieren. Mental Load kann jede*n treffen, egal ob Frau* oder Mann*. Mental Load ist keine Schwäche.

Ich sehe was, was du nicht siehst. Am 29.02. findet der Aktionstag Equal Care Day statt. Dabei soll auf die mangelnde Wertschätzung und unfaire Verteilung der Carearbeit aufmerksam gemacht werden. Warum der 29.02.? Der 29.02. ist ein Schalttag, der nur alle 4 Jahre stattfindet. Oft wird er übergangen und gerät in Vergessenheit – genauso wie die Carearbeit; die unsichtbare Fürsorgearbeit. Zudem soll damit auch das Verhältnis 4:1 symbolisiert werden. Es erinnert und mahnt zugleich daran, dass Männer* ca. 4 Jahre bräuchten, um die Zeit an Fürsorgearbeit zu erbringen, wie Frauen* in einem ganzen Jahr.Yes, we care! Aber wir wollen nicht nur an dem Tag darauf aufmerksam machen! Jeden Tag leisten Frauen* mehr gesamte Carearbeit als Männer. Für uns ist jeder Tag Equal Care Day. Wir kämpfen für eine gerechte Verteilung und für die Anerkennung der geleisteten Arbeit. Wir benötigen dringend kostenlose Kinderbetreuung, veränderte Arbeitsstrukturen und einen Kulturwandel. Doch was können wir im Einzelnen direkt dafür tun? Es fängt schon mit dem Bewusstsein dafür an. Konkret heißt das, Carearbeit gerecht zu verteilen. Das Bild der “klassischen Hausfrau” ist ein konstruiertes Rollenbild, an dem sich orientiert wurde. Geformt aus dem Patriarchat heraus bildete die Hausfrau die perfekte Ergänzung zum Mann, dem Alleinverdiener und Ernährer der Familie. Doch spätestens seit der zweiten Frauenbewegung Ende der 60iger Jahre ist klar, dass dieses Bild deutlich überholt ist: Frauen* kämpften für eine vollwertige Partizipation auf dem Arbeitsmarkt. Doch auch das erwies sich damals schon als sehr tückisch und das Problem bleibt bis heute bestehen. Trotz immer steigender Anzahl an erwerbstätigen Frauen* gibt es noch immer keine gerechte Careinfrastruktur. Eine gerechte Verteilung der (unbezahlten) Carearbeit ist daher erst der Anfang: Kinderbetreuung, Haushaltsplanung und eine paritätisch verteilte Elternzeit – ein erster Schritt um das Bewusstsein zu schaffen und Carearbeit gerecht zu verteilen. Fernab davon ist es aber auch unsere Pflicht, weiterhin über die Missstände in der fehlenden Careinfrastruktur aufzuklären und dafür zu kämpfen, die arbeitsrechtlichen und gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen endlich zu verbessern.

Unser Appell lautet daher: Gerechtigkeit und Sichtbarkeit für Carearbeit!

Quellen:

“Gleichbehandlung der Geschlechter im Arbeitsleben”: https://www.antidiskriminierungsstelle.de/DE/ueber-diskriminierung/lebensbereiche/arbeitsleben/gleichbehandlung-der-geschlechter/gleichbehandlung-der-geschlechter.html#:~:text=Welche%20Folgen%20hat%20der%20Gender,oder%20nur%20wenig%20verdient%20haben

“Gender Care Gap”: https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/themen/gleichstellung/gender-care-gap

“Equal Care Day”: https://equalcareday.de/“Gender Pay Gap”:https://www.destatis.de/DE/Themen/Arbeit/Verdienste/Verdienste-GenderPayGap/_inhalt.html

“Gleicher Beruf, weniger Geld”: https://www.boeckler.de/de/boeckler-impuls-21959.htm“Frauen und Arbeitswelt – Lohngerechtigkeit”https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/themen/gleichstellung/frauen-und-arbeitswelt/lohngerechtigkeit#:~:text=Ursachen%20der%20Lohnl%C3%BCcke&text=Knapp%2062%20Prozent%20aller%20sogenannten,werden%20kaum%20in%20Teilzeit%20besetzt.

“Seelische Gesundheit”: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/service/begriffe-von-a-z/s/seelische-gesundheit#:~:text=Fast%20jeder%20dritte%20Mensch%20leidet,auf%20Erkrankungen%20der%20Psyche%20zur%C3%BCck 

Autorin: Ann-Katrin Loer


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